31. Mai 2013

Kein Schadensersatzanspruch bei selbst provoziertem Unfall

Es ist ein alltägliches Szenario auf Deutschlands Straßen: Der eine Straßenverkehrsteilnehmer bremst plötzlich, der andere fährt aufgrund eines zu geringen Sicherheitsabstandes auf und es kommt zum Zusammenstoß beider Fahrzeuge (sog. Auffahrunfall). In derartigen Fällen haftet für den Schaden wegen des Anscheinsbeweises grundsätzlich der Auffahrende.

Das Oberlandesgericht Hamm entschied nun mit Urteil vom 11. März 2013, Az. 6 U 167/12, dass bei einem Auffahrunfall dem bremsenden Verkehrsteilnehmer ein Schadensersatzanspruch gegen den auffahrenden bzw. dessen Haftpflichtversicherung versagt bleibt, wenn nach den Gesamtumständen  von einem seitens des bremsenden Verkehrsteilnehmers provozierten und somit gewollten Zusammenstoß auszugehen ist: In dem vom Oberlandesgericht Hamm entschiedenen Fall bremste das vordere Fahrzeug völlig unerwartet und ohne nachvollziehbaren Grund vor einer grünen Ampel.

Anhand zahlreicher Indizien, die nicht nur im Strafrecht, sondern auch im Straßenverkehrsrecht eine bedeutsame Rolle spielen können, sah das Gericht einen vom geschädigten Kläger provozierten Zusammenstoß der Fahrzeuge als erwiesen an. Da der bremsende Verkehrsteilnehmer in die Beschädigung seines Fahrzeugs durch den auffahrenden einwilligte, fehlte es dieser an der Rechtswidrigkeit.

Das dem Geschädigten unterstellte Motiv ist das Ergebnis der richterlichen Beweiswürdigung.  Aufgrund von allgemeinen Erfahrungssätzen ging das Oberlandesgericht Hamm davon aus, dass wegen des überschaubaren Risikos Auffahrunfälle für Unfallmanipulationen besonders gut geeignet sind. Außerdem führen  Auffahrunfälle regelmäßig zu hohen Sachschäden, die mit relativ geringem Aufwand reparabel sind. Eine Abrechnung des Schadens auf fiktiver Reparaturkostenbasis erscheint insbesondere dann wirtschaftlich lukrativ, wenn der Geschädigte aufgrund eigener Fachkenntnisse in der Lage ist, den Schaden selbst zu beheben. Dass der Kläger dem Sachverständigen einen nicht unerheblichen Vorschaden an der Fahrzeugfront verschwiegen hatte,  weil dieser Einfluss auf die Schätzung des Wiederbeschaffungs- und des Restwertes und somit auf die Frage gehabt hätte, ob überhaupt auf Reparaturkostenbasis abgerechnet werden kann, wertete das Gericht ebenfalls als auffällig und für provozierte Unfälle typisch.

Doch vor allem die Begleitumstände des Unfallereignisses begründeten aus der Sicht des Gerichts den Verdacht einer Manipulation. Wörtlich führte der Senat aus: „ein typischerweise anzutreffendes Indiz für eine Manipulation [ist], dass der Unfall bei Dunkelheit geschieht. Ungewöhnlich ist auch ein nicht nur unwesentliches Bremsen vor einer unstreitig Grünlicht zeigenden Fußgängerampel, die sich unmittelbar vor einer Autobahnauffahrt befindet.“

Schließlich vermochten auch die – zum Teil widersprüchlichen – Angaben des Geschädigten den Verdacht einer provozierten Herbeiführung des Unfalls nicht zu entkräften.

Während das Urteil in materiellrechtlicher Hinsicht eigentlich nur Selbstverständlichkeiten wiedergibt („Schadensersatzrecht ist kein Bereicherungsrecht“; „die Einwilligung in eine Sachbeschädigung lässt ihre Rechtswidrigkeit und somit den Schadensersatzanspruch des Geschädigten entfallen“), dürfte die vom Gericht vorgenommene Beweiswürdigung anhand von konkreten Umständen des Einzelfalles und allgemeinen Erfahrungssätzen für die Regulierung vieler Verkehrsunfälle geradezu charakteristisch sein. Auch der Beweis des ersten Anscheins („Der Auffahrende trägt die Schuld.“) kann manchmal widerlegt werden.

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